24. Juli 2014

Stuttgarter Zeitung, Sybille Neth

Die Jugendschuldnerberatung wird bei der Aufklärungsarbeit an Schulen von der Stuttgarter Zeitung – Hilfe für den Nachbarn unterstützt.

Die finanziellen Fallstricke für Jugendliche lauern an jeder Ecke: Das fängt beim Fast Food an, geht mit dem falschen Handyvertrag weiter und endet bei einem Verfahren wegen einer Urheberrechtsverletzung im Internet, die aus Unwissenheit geschah. So charakterisieren Ulrike Fetscher und Kendra Kalkschmid von der Jugendschuldnerberatung in Tübingen die Situation vieler junger Menschen. Die beiden Schuldnerberaterinnen sind deshalb regelmäßig in Schulklassen zu Gast und gehen zusammen mit den Schülern ab Klasse acht auf Spurensuche nach den Tücken im Alltag, denn Vorbeugen ist besser als eine Entschuldung.

„Wir müssen die Jugendlichen dabei in ihrer Wirklichkeit abholen“, betont Kendra Kalkschmid. Belehrungen laufen ins Leere. „Wie lebt ihr? Was macht euch Spaß? Macht ihr Schulden? Was sind Schulden? Gehört Geld leihen auch schon dazu?“ Das sind die Fragen mit denen sie Interesse für ihre Unterrichtseinheit wecken. ‚Es geht bei der Schuldnerberatung ja nicht nur um finanzielle Probleme, sondern um die Auseinandersetzung mit einer persönlichen Haltung und mit dem Erlernen von Kompetenzen‘, charakterisiert der Vorsitzende des Tübinger Schuldnerberatungsvereins, Hans-Ulrich Weth, die komplexe Aufgabe der Berater. Die Arbeit an den Schulen ist deshalb besonders wichtig, betont der Leiter der Beratungsstelle in der Villa Metz, Heiner Gutbrod. Unterstützt wird das Jugendschuldnerprojekt auch von der Spendenaktion der Stuttgarter Zeitung, „Hilfe für den Nachbarn.“ Die speziellen Unterrichtsmaterialien wurden so finanziert. Drei Jahre wird das Schulprojekt laufen. Die Bilanz nach dem ersten Jahr ist positiv.

‚Die jungen Leute müssen die Rolle des kritischen Konsumenten erst lernen‘, erläutert Gutbrod. 2012 waren 16 Prozent der jungen Leute zwischen 16 und 29 Jahren verschuldet. ‚Da ist der Auszubildende, der bei einem Einkommen von 570 Euro eine Wohnung für 450 Euro mietet‘ – ein Fall aus Gutbrods Beratungspraxis. Oder da ist die 15-Jährige, die einen 450 Euro-Job angenommen hat und dann im Internet alles Mögliche bestellt hat, was ihr gefiel, erzählt Ulrike Fetscher. ‚Nach vier Monaten war die Arbeitsstelle wieder weg und sie saß auf einem Berg unbezahlter Rechnungen‘, erläutert die Schuldnerberaterin.

Zu den Klienten der Berater gehören durchaus auch Söhne und Töchter aus einkommensstärkeren Familien. „Die geben mehr aus als sie zur Verfügung haben, und dort begegnen wir auch einer gewissen Anspruchshaltung“, sagt Fetscher. Ausweglos wird die Situation, wenn die Eltern nicht helfen können, weil sie selbst nichts haben. Ulrike Fetscher kritisiert, dass die Jugendlichen mit Konsumartikeln geradezu „zugemüllt“ werden.

„An jeder Ecke wird Essen verkauft. Das ist ein großes Thema bei uns. Woher sollen sie wissen, dass man sich zuhause für einen Bruchteil der Kosten selbst etwas zubereiten könnte?“, fragt die Schuldnerberaterin. Deshalb haben sie und ihre Kollegin an einer Schule für Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen eine Woche mit den Schülern gekocht. ‚Dabei haben sie gelernt wie man einen Haushaltsplan aufstellt, wie man richtig wirtschaftet und wie günstig kochen sein kann‘, lautet Fetschers Fazit.

Bei den jüngeren Schülern sind es eher kleinere Ausgaben, die aber auch zu einer stattlichen Schuldensumme auflaufen können. Jungs können bei Sportkleidung und Spielen kaum widerstehen. Mädchen überziehen ihr Budget oft für das Nagelstudio oder für Tattoos. Am Beispiel ihres Unterrichtsfilms, in dem ein Mädchen munter konsumiert, können die Schüler gemeinsam herausfinden, wo und wie gespart werden kann. „Eventuell muss man dann auch mal einen Monat auf alles verzichten, wenn man im Nagelstudio war“, sagt Fetscher und fügt schmunzeln an: „Wenn die Fingernägel so wichtig sind, gibt es eben eine Zeit lang nur noch Reis zu essen.“