10. Februar 2015

Birgit Knaus, Evangelischer Diakonieverband im Landkreis Böblingen

Immer häufiger finden auch ältere Menschen den Weg in die Schuldnerberatung. Sie bringen sehr unterschiedliche Lebenserfahrungen und Lebenswege mit, Ängste und Fragen, die sich von denen jüngerer Klienten unterscheiden. Bei  den Jüngeren ist es das Ziel der Schuldnerberatung, sich wieder eine neue, bessere Zukunft aufzubauen;  bei den Älteren kommen ganz andere  Fragen hinzu wie: „Was bleibt eigentlich von mir?“, „Was kann ich tun, um meinen Kindern nicht zur Last zu fallen?“, „Habe ich in meinem Leben versagt, nichts zu Stande bekommen?“
Sich diesen Fragen und Problemen zu stellen, ist für die Berater nicht nur eine menschliche und zeitliche Herausforderung. Es ist auch eine Herausforderung in fachlicher Hinsicht. Um die richtige Lösung und den richtigen Weg in der Schuldnerberatung für jeden einzelnen Klienten zu finden, braucht es auch Grundkenntnisse im Erbrecht.

Viele Sozial- und Schuldnerberater gehen bei älteren Menschen den Weg, das Einkommen (zumeist Rente und Grundsicherung) zu sichern, beispielsweise durch ein P-Konto und die Schulden schlicht stehen zu lassen. Dies kann der richtige Weg sein, muss es aber nicht. Geht man mit dem Klienten diesen Weg, so sollten die Alternativen und vor allem die Folgen dieses Weges besprochen worden sein.

Schulden werden vererbt! Mit dem Tod des Schuldners geht sein gesamtes Vermögen auf den oder die Erben über (§ 1922 I BGB). Zum Vermögen gehören die Aktiva und die Passiva, also auch die Schulden.

Hat der Klient/die Klientin  keinen Erben bestimmt, beispielsweise durch Testament oder Erbvertrag, so ergibt sich die Erbfolge aus dem Gesetz (§ 1924 ff. BGB).  Häufig erben die sog. Erben der 1. Ordnung 1) (Kinder, Enkel, Urenkel) und ein Ehegatte 2).
Da die Schulden mit dem Tod automatisch auf den/die Erben übergehen, sollten diese die finanzielle Situation kennen. Es ist wichtig, dass der Klient/die Klientin mit wenigstens einem der möglichen Erben spricht. Sinnvoll ist manchmal auch ein gemeinsames Gespräch beim Schuldnerberater, denn vielen Älteren fällt es sehr schwer, offen mit Ihren Kindern über die tatsächliche finanzielle Situation zu sprechen.

Welcher Weg hinsichtlich der Schulden gewählt werden sollte, hängt neben den wirtschaftlichen und rechtlichen Faktoren stark von der Persönlichkeit und dem Umfeld des Klienten/der Klientin  ab.

I. Das Einkommen wird gesichert, die Schulden bleiben bestehen

Durch das Pfändungsschutzkonto kann man mittlerweile recht einfach das Einkommen des Klienten schützen. Liegt das Einkommen aber über dem Sockelbetrag, sollte geklärt werden, wer den Klienten/die Klientin darin unterstützt, sich um Anträge beim Vollstreckungsgericht zu kümmern oder um neue P-Kontobescheinigungen. Schwierigkeiten können sich auch ergeben, wenn Pflegegeld 3) gezahlt wird.

Hinsichtlich der bestehen bleibenden Schulden haben die Erben folgende Möglichkeiten, sich zu schützen:

1. Das Erbe ausschlagen

Jeder einzelne Erbe kann das Erbe ausschlagen (§ 1942 ff BGB). Aber: die Ausschlagung ist formbedürftig. Sie muss zur Niederschrift des Nachlassgerichtes oder in öffentlich beglaubigter Form abgegeben werden. Und: die Ausschlagungsfrist beträgt nur sechs Wochen ab dem Zeitpunkt, ab dem der Erbe weiß, dass er Erbe wurde oder ab dem er den Grund für den Erbfall kannte, also vom Tod des Erblassers erfahren hat.

Werden minderjährige Kinder Erbe, braucht man für die Ausschlagung in der Regel die Genehmigung des Familiengerichts 4).

Nachteile dieser Lösung:

* Man kann das Erbe nur als Ganzes ausschlagen. Schlägt man das Erbe aus, hat man auch kein Recht mehr an einzelnen Nachlassgegenständen (Möbel, Porzellan, Auto,….).
* Schlagen alle nahestehenden Verwandten das Erbe aus, wird die Haushaltsauflösung und  das Abmelden oder ein Verkauf des Autos sehr schwierig. Macht dies der Ausschlagende trotzdem, bewegt er sich rechtlich in einer schwierigen Grauzone.
* Vielen Menschen fällt es schwer, das Erbe der Eltern oder sonstiger nahestehender Personen auszuschlagen. Deshalb sollte darüber vorher gesprochen werden. Eine klare Aussage: „ Ich will, dass Du mein Erbe ausschlägst“  kann vieles erleichtern.
* Die Erbensuche geht weiter: Schlagen alle Verwandten der 1. Ordnung (Nachkommen) das Erbe aus, geht die Erbschaft an die Erben 2. oder 3. Ordnung weiter. D.h. es wird über die Eltern des Klienten auch in die Seitenlinien (Geschwister des Klienten und deren Kinder) hinein nach Erben gesucht. Je nach Ausdauer des Nachlassgerichtes kann sich dies über Jahre hinziehen.
Viele Klienten möchten nicht, dass ihre Überschuldung auf diese Weise in der weiteren Verwandtschaft bekannt wird.

2. Die Haftung als Erbe begrenzen

Der Gesetzgeber geht zunächst vom Grundsatz der unbeschränkten Erbenhaftung aus. Das bedeutet, macht der Erbe nichts, haftet er für die geerbten Schulden nicht nur mit dem ererbten Vermögen sondern auch mit seinem eigenen Vermögen.

Es gibt aber Möglichkeiten, diese Haftung auf den Nachlass (ererbtes Vermögen) zu begrenzen 5):

* Eine Nachlassverwaltung oder ein Nachlassinsolvenzverfahren
* Die Dürftigkeitseinrede bzw. die Überschuldungseinrede
* Das Aufgebotsverfahren

Bei diesen Möglichkeiten ist es hilfreich, wenn der/die Erbe(n) Einblick in die Unterlagen bei der Schuldnerberatung nehmen kann. Eine Gläubigerliste und Vermögensaufstellung können die Situation wesentlich erleichtern. Dazu sollte aber mit dem Klient/der Klientin besprochen werden, wem welche Unterlagen gegeben werden sollen. Denn: Die Schweigepflicht endet nicht mit dem Tod des Klienten!

Viele Erben sind mit diesen Möglichkeiten der Haftungsbegrenzung überfordert. Es ist wichtig, hier Mut zu machen,  um nicht neue Klienten zu schaffen.
Liegt bei den Erben bereits eine eigene Überschuldung vor, kommt auch ein eigenes Insolvenzverfahren des Erben/der Erbin  in Betracht, in welches sowohl die eigenen als auch die Nachlassschulden einfließen.

II. Es werden Vergleiche geschlossen, Ratenzahlungen vereinbart

Im Wege der Gesamtrechtsnachfolge tritt der/die Erben in alle Rechte und Pflichten des Erblassers ein.

Dies bedeutet: Der Erbe erbt die Schulden mit allen daran hängenden Rechten und Pflichten. Grundsätzlich gelten restschuldbefreiende Vergleiche/Ratenvereinbarungen auch gegenüber dem Erben.

Die Erben müssen entscheiden, ob es auch für sie sinnvoll ist, diese Vergleiche/Raten weiterhin zu begleichen oder ob sie lieber das Erbe ganz ausschlagen wollen bzw. die Haftung begrenzen. Sind die Schulden verhältnismäßig gering und ist evtl. noch etwas Vermögen vorhanden, kann das Festhalten an den Vergleichen/Raten sinnvoll sein.  Es gibt den Erben zumeist auch ein besseres Gefühl, die Angelegenheiten ihrer Eltern/Verwandten auf diese Weise regeln zu können, zumal wenn Erbe und Erblasser im gleichen Umfeld leben.

Aber:  Häufig werden solche Vergleiche oder Ratenvereinbarungen aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation des Erblassers gewährt. In manchen Vergleichen steht ausdrücklich drin, dass der Vergleich bei wesentlichen Änderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse gekündigt werden kann.
Deshalb sollte beim Tod des Klienten jeder einzelne Gläubiger angeschrieben werden, ob die Vergleichsvereinbarung/Ratenvereinbarung auch gegenüber den Erben gelten soll. Erfahrungsgemäß sind die Gläubiger eher gewillt, die Vergleiche zu halten.
Und: dies sollte relativ schnell geschehen, damit sich die Erben im Zweifelsfall noch für eine Ausschlagung des Erbes entscheiden können (6-Wochen-Frist!)

Ist eine Forderung durch einen restschuldbefreienden Vergleich bereits erledigt, der Vergleich vollständig erfüllt, gilt dies auch gegenüber dem Erben.

Für die Beratung bedeutet dies: Kurze Vergleichslaufzeiten oder Ratenvereinbarungen sind auch bei älteren Klienten meist gute Lösungen. Bei sehr langen Vergleichslaufzeiten sollte aber die Situation des/der  möglichen Erben in die Beratung miteinbezogen werden.

III. Es wurde ein Insolvenzverfahren beantragt

1. Restschuldbefreiung wurde erlangt:

Stirbt der Klient nachdem er die Restschuldbefreiung erhalten hat, so können sich auch die Erben auf diese Restschuldbefreiung berufen 6).

Ein erfolgreich durchlaufenes Insolvenzverfahren schützt nicht nur den Klienten sondern auch die Erben! Deshalb sollte gerade bei älteren Klienten das Insolvenzverfahren als Lösungsmöglichkeit nicht von vorneherein ausgeschlossen werden.

Aber: Viele ältere Klienten haben Angst vor dem Verfahren, trauen sich nicht allein zum Insolvenzverwalter, sehen eine Insolvenz als Scheitern und Versagen an, haben Angst, die Briefe nicht zu verstehen oder etwas falsch zu machen. Dabei sind die Verfahren bei Älteren schon wegen des Wegfalls der Erwerbsobliegenheitsverpflichtung eigentlich viel einfacher.

Diesen Ängsten kann man durch Gespräche, die Begleitung durch Ehrenamtliche oder durch ein Einbinden der Kinder in das Verfahren (Öffnen der Post, begleiten bei Terminen) entgegenwirken.

2. Der Klient stirbt während des Insolvenzverfahrens

Verstirbt der Klient während des noch laufenden Insolvenzverfahrens, wird das Insolvenzverfahren automatisch in ein Nachlassinsolvenzverfahren übergeleitet 7).  Der „Schuldner“ dieses Nachlassinsolvenzverfahrens ist der Erbe.
Ein Antrag seitens des Erben ist nach h.M. nicht erforderlich.

In diesem Fall gibt es zwar keine Restschuldbefreiung, aber die Haftung des Erben wird durch das Nachlassinsolvenzverfahren auf den Nachlass begrenzt 8).

3. Der Klient stirbt während der Wohlverhaltensphase

Verstirbt der Klient nach Aufhebung oder Einstellung des Insolvenzverfahrens, so geht das Verfahren nicht automatisch in ein Nachlassinsolvenzverfahren über. D.h. der Erbe müsste selbst ein Nachlassinsolvenzverfahren beantragen mit der Folge, dass wenn die Kosten nicht gedeckt sind, das Verfahren mangels Masse eingestellt wird. Er hat aber alle Möglichkeiten der Haftungsbeschränkung oder der Ausschlagung (siehe oben).
Eine Restschuldbefreiung für den Erben kann es nach der h.M. nicht geben! 9) Das Restschuldbefreiungsverfahren wird analog § 299 InsO eingestellt.

Auch über dieses weniger erfreuliche Ergebnis sollte mit dem Klienten und dessen Angehörigen gesprochen werden, denn viele Erben werden hier überrascht sein. Warum es im Insolvenzverfahren anders sein soll als in der Wohlverhaltensphase, ist für Laien nur schwer nachzuvollziehen. Wegen der kurzen Ausschlagungsfrist ist aber eine schnelle Reaktion notwendig.

1) Erben 1. Ordnung sind die Abkömmlinge des Erblassers (§ 1924 BGB). Zuerst erben die Kinder zu gleichen Teilen. Ist ein Kind bereits verstorben, geht dessen Anteil auf seine Kinder über usw.  Die Erbenstellung von Enkelkindern von Klienten wird in der Beratung gerne übersehen!
Wenn kein einziger Erbe der 1. Ordnung da ist, kommen die Erben der 2. Ordnung als Erben in Frage. Das sind die Eltern und deren Abkömmlinge (Geschwister und deren Kinder…)
2) Neben den Abkömmlingen (Erben der 1. Ordnung) ist der überlebende Ehegatte zu ¼ gesetzlicher Erbe (§ 1931 I 1 BGB)
3) Pflegegeld kann evtl. durch eine P-Konto-Bescheinigung (Laufende Geldleistungen zum Ausgleich…) geschützt werden.
4) Werden die minderjährigen Kinder nur deshalb Erbe, weil die Eltern das Erbe ausgeschlagen haben, so ist die Genehmigung entbehrlich (§ 1643 II 2 BGB).
5) Wer sich hierzu genauer informieren möchte, dem empfehle ich unseren Beitrag im Infodienst von M. Langenbahn: Schulden geerbt – was nun?
6) Vgl. Philipp S. Fischinger, Die Beschränkung der Erbenhaftung in der Insolvenz, Mohr Siebeck Tübingen 2013 auf Seite 8
Dies ist zwar nicht ganz unbestritten, doch überwiegende Meinung in der Literatur
7) BGH 21.2.2008 IX ZR 62/05
8) § 1975 BGB
9) Dies ist in der Literatur sehr umstritten, es gibt viele unterschiedliche Begründungen.

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